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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.01.2006
Aktenzeichen: 27 U 159/05
Rechtsgebiete: InsO, VVG
Vorschriften:
InsO § 47 | |
VVG § 166 Abs. 2 |
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 15. September 2005 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
(§ 540 ZPO)
A.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der E GmbH. Diese schloss für den am 2. November 1965 geborenen Kläger, ihren vormaligen Geschäftsführer, der zunächst 50% der Gesellschaftsanteile hielt und im Laufe des Jahres 2002 Alleingesellschafter wurde, im Dezember 1994 bei der M AG eine Direktversicherung entsprechend den Regelungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) ab.
Zur Bezugsberechtigung heißt es im Versicherungsvertrag:
"Der Versicherte ist sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unwiderruflich bezugsberechtigt. ... Dem Arbeitgeber bleibt das Recht vorbehalten, alle Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, der Versicherte hat das 35. Lebensjahr vollendet und entweder die Versicherung hat 10 Jahre oder das Arbeitsverhältnis 12 Jahre und die Versicherung 3 Jahre bestanden, der Versicherte Handlungen begeht, die den Arbeitgeber berechtigen, den Versicherungsanspruch zu mindern oder zu entziehen."
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. Dezember 2004 über das Vermögen der Versicherungsnehmerin widerrief der Beklagte am 22. Dezember 2004 das Bezugsrecht des Klägers und zog den Rückkaufwert von 11.484,87 EUR abzüglich 127,82 EUR ausstehender Versicherungsbeitrag, 664,60 EUR Kapitalertragssteuern und 36,55 EUR Solidaritätszuschlag, d.h. 10.655,90 EUR zur Masse ein. Zu diesem Zeitpunkt waren die im Versicherungsvertrag bestimmten Unverfallbarkeitsvoraussetzungen noch nicht eingetreten.
Der Kläger meint, ihm stehe an den Rechten aus der Versicherung ein Aussonderungsrecht zu, und verlangt die Zahlung eines Betrages von 11.484,87 EUR nebst gesetzlicher Zinsen seit dem 1. November 2004.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, während der Beklagte das landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
B.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
I.
Hinsichtlich des Teilbetrages von 10.655,90 EUR, der dem dem Beklagten ausgezahlten Rückkaufwert der Lebensversicherung entspricht, ist die Klage unbegründet, weil ein Aussonderungsrecht des Klägers an den Leistungen aus der Lebensversicherung nicht besteht. Ein solches Aussonderungsrecht ist weder durch die Rechte des Klägers aus dem Deckungsverhältnis (= Versicherungsvertrag der Schuldnerin mit dem Versicherer) noch durch seine Rechte aus dem Valutaverhältnis (= Versorgungszusage zwischen der Schuldnerin und dem Kläger) begründet.
1.
Auf der Ebene des Deckungsverhältnisses ist anerkannt, dass ein insolvenzrechtliches Aussonderungsrecht des Bezugsberechtigten hinsichtlich der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag (nur) dann besteht, wenn die Bezugsberechtigung aus dem Versicherungsvertrag unwiderruflich ist. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor, da sich der Versicherungsnehmer - die Schuldnerin - den Widerruf des Bezugsrechtes bis zum Eintritt der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen vorbehalten hatte und die versicherungsvertraglich vereinbarten Unverfallbarkeitsvoraussetzungen unstreitig noch nicht eingetreten waren.
2.
Im Valutaverhältnis besteht eine schuldrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers / Dienstberechtigten aus der Versorgungszusage, das Bezugsrecht des Dienstverpflichteten nach dem Eintritt der im Anstellungsverhältnis vereinbarten Unverfallbarkeitsvoraussetzungen, die im Zweifel denen des Versicherungsvertrages entsprechen, nicht mehr zu widerrufen. Vor dem Eintritt der Unverfallbarkeit besteht die Verpflichtung des Dienstberechtigten, das Bezugsrecht nur nach Maßgabe der vereinbarten Vorbehalte zu widerrufen.
a)
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter in die Rechtsstellung des Arbeitgebers/Dienstberechtigten ein (§ 80 Abs. 1 InsO). Jedoch ist der Insolvenzverwalter an die Verpflichtung aus der Versorgungszusage nicht gebunden. Das folgt aus der (nur) schuldrechtlichen Rechtsnatur der Verpflichtung. Der Insolvenzverwalter kann das Dienstverhältnis beenden und das Bezugsrecht des Dienstverpflichteten frei zugunsten der Insolvenzmasse widerrufen. Dieses entsprach bisher einhelliger Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 92,1) als auch des Bundesgerichtshofs, insbesondere des IX. Zivilsenats (NJW 2002, 3253 m.w.N.).
Auch der erkennende Senat schließt sich dem an. Denn die stärkste Rechtsstellung, die der Dienstverpflichtete im Valutaverhältnis erlangen kann, ist die Unverfallbarkeit nach den Vorschriften des BetrAVG. Diese Unverfallbarkeit würde jedoch allenfalls ein gesetzliches Verfügungsverbot bedeuten, das den Schutz einer bestimmten Person bezweckt (§ 135 BGB). Ein solches gesetzliches Verfügungsverbot hat im Insolvenzverfahren keine Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 InsO). Noch weniger ist derjenige Bezugsberechtigte geschützt, bei dem die arbeitsrechtlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nicht einmal eingetreten sind.
b)
Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung hat jedoch der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 8. Juni 2005 (ZIP 2005, 1373) die Widerruflichkeit des Bezugsrechtes in der Insolvenz verneint und ein Absonderungsrecht des Dienstverpflichteten (dort eines Arbeitnehmers) angenommen. Er hat das damit begründet, dass das Widerrufsrecht des Arbeitgebers nur unter den vereinbarten Vorbehalten ausgeübt werden könne. Die Vorbehalte dienten dem alleinigen Zweck, den Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten. Dieser Zweck entfalle mit der Insolvenz, weshalb der Vorbehalt gar nicht mehr ausgeübt werden könne. Selbst das noch nicht unverfallbar gewordene Bezugsrecht dürfe daher nicht zur Masse gezogen werden. Der Arbeitnehmer habe insoweit ein Aussonderungsrecht. Die Insolvenzfestigkeit des eingeschränkt widerruflichen Bezugsrechtes entspreche der Interessenlage der Parteien, die auch das BetrAVG anerkannt habe, indem es bei derartigen Direktversicherungen die Pflicht zur Entrichtung eines Insolvenzsicherungsbeitrages auf den Fall der Abtretung oder Beleihung begrenze.
Dieses Erkenntnis hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit einem Hinweisbeschluss vom 22. September 2005 (ZIP 2005, 1836) gebilligt, ohne jedoch seine abweichende frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufzugeben. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der entgegenstehenden früheren Rechtsprechung enthalten beide Entscheidungen nicht.
c)
Die mit den vorgenannten Entscheidungen vollzogene Wendung in der Rechsprechung des Bundesgerichtshofs stößt bei dem erkennenden Senat auf erhebliche Bedenken. Sie widerspricht sowohl arbeits- als auch insolvenzrechtlichen Grundsätzen.
aa)
Arbeitsrechtlich werten die Entscheidungen die Interessenlagen der Parteien nicht erschöpfend, weil diese vor dem Eintritt der Unverfallbarkeit nicht nur durch Aspekte des Arbeitnehmerschutzes geprägt sind, sondern auch und in erster Linie dadurch, dass der Arbeitgeber bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei über das Bezugsrecht verfügen kann. Das gilt nicht nur bei Kündigungen des Arbeitnehmers, die der IV. Zivilsenat des BGH in den Vordergrund stellt, sondern insbesondere auch bei Kündigungen des Arbeitgebers. Bis zum Eintritt der Unverfallbarkeit kann sich der Arbeitnehmer niemals auf seine Versorgungs-"anwartschaft" verlassen, weil er immer damit rechnen muss, betriebsbedingt - bei Kleinbetrieben unterhalb der Kündigungsschutzgrenze sogar ohne jeden Kündigungsgrund - gekündigt zu werden. Auch bei solchen betrieblichen Kündigungen fällt das Bezugsrecht jeweils zurück in die volle Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers. Unter Umständen kann es in der Krise eines Unternehmens sogar in dessen notwendigem Erhaltungsinteresse liegen, Arbeitsverhältnisse mit dem alleinigen Ziel zu kündigen, zusätzliche Liquidität aus dem Rückkaufwert der Direktversicherungen zu erlangen, ohne dass sich der Arbeitnehmer dagegen wehren kann. Warum diese fehlende Versorgungsssicherheit des Arbeitnehmers nach dem eingetretenen Insolvenzfall nicht fortwirken soll, ist für den erkennenden Senat nicht ersichtlich.
bb)
Insolvenzrechtlich stellen sich die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in einen zusätzlichen Wertungswiderspruch zu der anderweitigen Rechtsprechung des IX. Zivilsenats, wonach ein vorläufiger Insolvenzverwalter berechtigt ist, vertragsgemäß ausgeführte Lastschriften zurückzuholen (BGHZ 161, 49). Der Rückruf von berechtigt eingezogenen Lastschriften ist schuldrechtlich ebenso vertragswidrig wie ggf. der Widerruf des Bezugsrechtes einer Direktversicherung. Beides liegt in der Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters, ist ihm aber schuldrechtlich verboten. Auch hier ist dem erkennenden Senat nicht ersichtlich, weshalb beide Fälle unterschiedlich behandelt werden sollten.
d)
Aufgrund der aufgezeigten Widersprüche vermag der Senat derzeit keine in sich geschlossene Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zu erkennen. Der Senat hält an der vom Bundesarbeitsgericht begründeten und bislang vom IX. Zivilsenat mitgetragenen Rechtsprechung fest.
Vorsorglich stützt der Senat seine Entscheidung allerdings auch darauf, dass die durch den IV. Zivilsenat des BGH neu aufgestellten Grundsätze schon deshalb nicht auf den Kläger anzuwenden sind, weil dieser nicht Arbeitnehmer, sondern Gesellschafter-Geschäftsführer war und somit die von dem IV. Zivilsenat in den Mittelpunkt gerückten Belange des Arbeitnehmerschutzes, namentlich die Vorschriften des BetrAVG, auf ihn nicht anzuwenden sind.
Zwar gelten die §§ 1 bis 16 BetrAVG gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG entsprechend für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind. Darunter fallen grundsätzlich auch GmbH-Geschäftsführer (BAG, NJW 1978, 828). Das gilt aber nicht für Gesellschafter-Geschäftsführer mit Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft, die wie ein Unternehmer anzusehen sind und als solche nicht unter den Anwendungsbereich des BetrAVG fallen (BGHZ 77, 94). Da der Kläger im Jahre 2002 Alleingesellschafter der Schuldnerin wurde, gelten für ihn die Vorschriften des BetrAVG ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.
II.
Soweit der eingeklagte Betrag von 11.484,87 EUR den vom Beklagten erlösten Rückkaufwert von 10.655,90 EUR noch übersteigt, hat der Kläger darüber hinaus nicht dargelegt, warum die von der M vorgenommenen Abzüge unberechtigt sind bzw. der Beklagte insoweit einen zur Aussonderung geeigneten Gegenstand erhalten hat.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Bezugsrecht bei einer Direktversicherung durch den Insolvenzverwalter widerruflich ist, nach den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wieder als ungeklärt zu gelten hat und ihr daher erneut grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Ende der Entscheidung
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